Ingame Fundstücke und Dialoge als Mittel der kulturellen Repräsentation

Eins meiner Lieblingsbeispiele könnte bei vielen leicht untergegangen sein: Handelt es sich hierbei doch „nur“ um ein einzelnes Wort innerhalb eines Gesprächs zwischen Aloy und ihrer Verbündeten Alva in der Nebenmission „Verbotenes Vermächtnis“, das aber eine enorme Tragkraft aufweist. Darin begeben sich die zwei im zerstörten San Francisco auf die Suche nach einem Projekt namens Leviathan, das Alvas Familie und Zuhause der Quen vor gewaltigen Umweltkatastrophen retten könnte. Im Verlauf der kletterintensiven Mission innerhalb eines Wolkenkratzers erfahren sie, dass der verworfene Vorläufer von Leviathan den Codenamen Omuramba trug. Eine eher unwichtige Nebeninfo für Horizon-Lore-Nerds möchte man meinen, doch gleichzeitig ein exzellentes Beispiel dafür, wie weitflächig Referenzen auf unsere eigene Welt als Mittel der Diversität von Guerilla eingesetzt werden. Denn bei Omuramba handelt es sich um einen geografischen Fachausdruck für einen sich im Nordosten der Kalahari-Wüste erstreckenden, talförmigen Trockenflusslauf. Entlehnt ist dieser Begriff aus dem Otjiherero, einer Bantusprache, gesprochen vom Volk der Herero in weiten Teilen Namibias, mit der wortwörtlichen deutschen Bedeutung ‚„Tal“ oder „Rivier“. Ein ins Spiel und seine Hintergrundgeschichte eingesetzter Begriff aus einer in der pop-kulturellen (Videospiel)Welt eher marginalisierten Region und Sprache. Solche Beispiele sind vor allem bei AAA-Titeln extrem rar, umso schöner zu sehen, dass Horizon Forbidden West auch hier eine Wand durchbricht und ein, wenn auch kleines, positives Beispiel schafft.

Und von solchen gibt es, selbst wenn man nicht die zahlreichen im Spiel zu findenden Datenfragmente und Glyphen mit Hintergrundinfos zur Welt und Geschichte von Horizon studiert, enorm viele. So dürfen wir zum Beispiel als Belohnung für eine mehrteilige Sammelquest neue dekorative Himmelsornamente über dem erstrahlten Las Vegas freischalten. Diese orientieren sich thematisch an tatsächlichen Feiertagen und Festen „der alten Welt“ bzw. wie es im Spiel benannt wird, „der Ahnen“. Neben klassischen Varianten wie Neujahr, Valentinstag und Halloween findet sich hier auch das islamische Fest zum Fastenbrechen Eid-al-Fitr. Die bisher erste Erwähnung eines solchen Feiertages bei vollständigem Namen in einem westlichen Videospiel. Hier zeigt sich auch etwas Entscheidendes.

Halbmonde und Laternen. Klassische Symbole des islamischen Festes Eid-al-Fitr. Eine kleine aber feine namentliche und grafische Anspielung, dass von der alten Welt in Horizon, verschiedenste Kulturgüter und Traditionen überliefert wurden und somit erhalten blieben.

Die Entwickler hätten solche kleinen Referenzen, Anspielungen und Hinweise auf unsere reale Welt nicht einbauen müssen. Es hätte wohl weder an der Qualität des Spiels etwas geändert, noch hätte jemand einen Internet-Aufschrei deshalb gestartet. Doch gerade weil Guerrilla sich trotzdem entschlossen hat, solche Passagen und Dinge mit ganz viel Liebe zum Detail zu implementieren, es ihnen wichtig war, nicht nur die eurozentrische, westliche Erdgeschichte und Bevölkerung in der tieferen Story und Lore von Horizon abzubilden und zu integrieren, wurde Horizon Forbidden West zu so einem, gelungenen, großartigen und auch enorm wichtigen Spiel, das bestehende Branchen-Standards in Belangen der Diversität und Repräsentation durchbrechen und neue setzen dürfte.

Inklusion nicht nur zum Selbstzweck, sondern als Teil einer glaubhaften Spielwelt

Doch statt hier aufzuhören, geht Guerilla noch ein enormes Stück weiter und spricht in Horizon Forbidden West auch direkt viele wichtige und in unserer Gesellschaft relevante und aktuelle Themen an. Und dies mit sehr viel Feingefühl und gutem Storywriting, sodass die Botschaft nicht wie ein Vorschlaghammer daherkommt, einen erschlägt und aus der Immersion des Spiels rausreißt, sondern noch mehr mit den Charakteren mitfühlen lässt. Beispielsweise in einer sehr gelungenen Nebenquest in der nördlichen Bergregion des verbotenen Westens, wo wir einen jungen Tenakth, der seit einem gefährlichen Initiationsritus als verschollen gilt, retten müssen. Im Rahmen dieser Quest, die sich stark mit Identität und der Findung seines wahren Selbst beschäftigt, treffen wir auch auf den Anführer des Trupps namens Wekatta. Dieser lässt andeuten, dass er sich in seiner Vergangenheit mit seiner Identität in der auf Kraft und Stärke ausgerichteten Kultur der Tenakth unwohl fühlte, und darauf eine neue annahm. Zusammen mit einer Dialogzeile (gesprochen von der Synchronsprecherin Rebecca Root), in der er bemerkt, dass er sich mit seinem neuen Aussehen und der weiblichen Tenakth-Rüstung wohler fühle, lässt alles darauf schließen, dass es sich hierbei um einen Charakter mit LGBTQ+ Hintergrund handelt. Eine aktive Inklusion eines Transcharakters also, die zwar subtil und doch glasklar ist, wenn man denn genau hinhört. Im Vorgänger Horizon Zero Dawn trafen wir mit der Carja Janeva ebenfalls auf eine NPC, die sich auch durch die Namensänderung für eine neue, zu ihr besser passende männliche Identität entschied.

Insgesamt ist die Repräsentation durch LGBTQ+ Charaktere erstaunlich hoch. Man trifft sie in Haupt- und Nebenquests, häufig auch durch direkte Erwähnung in Dialogen.

In diesem Zusammenhang äußerst interessant ist auch, wie Aloy und die Umwelt samt ihrer Bewohner auf diese Charaktere reagieren. Nicht mit Ablehnung und Aggression (wie man es vielleicht zuerst von einer Gesellschaft, die von der Zivilisations- und Entwicklungsstufe mit unserem späten Mittelalter vergleichbar wäre, denken würde), sondern Verständnis, Akzeptanz und Aufnahme und das alles im Rahmen der spielinternen Gesetze, Kultur und Geschichte dieser post-post-apokalyptischen Welt. Es verfestigt sich so nach und nach der Eindruck, dass in dieser menschlichen Zukunft, endlich keinen Unterschied mehr macht, wen man lieben, mit wem man zusammen sein kann.

Eine andere Nebenquest, diesmal im vom Dschungel und Wald geprägten westlichen Tiefland-Tenakth-Gebiet, treffen wir auf eine Tochter, die von ihrem eigenen Vater angegriffen wurde und diesen nun wiederfinden möchte. Stück für Stück klären wir diese furchtbare Tat auf und verstehen, genauso schnell wie Aloy, dass es in dieser Geschichte zwei Opfer gibt. Denn der Vater des Tenakth-Mädchens ist ein alter Veteran, der immer wieder „vom Nebel“ aufgesucht wird, darauf alles um sich vergisst und sich in einem alten Clankrieg wiederfindet. In den kurzen klaren Momenten erzählt er uns von seiner Vergangenheit und an dieser Stelle wird es endgültig klar, dass der alte Mann an einer fortschreitenden Beeinträchtigung des Gedächtnisses, bei uns auch als altersbedingte Demenz bekannt, leidet. Zu keinem Moment war ich darauf vorbereitet, mit so einem Thema in einem bunten Open-World Action-Spiel konfrontiert zu werden, doch umso erstaunlicher fand ich es, wie Forbidden West damit umgeht und die Quest zu einem berührenden und bereichernden Ende führt, an das ich mich auch nach Jahren mehr erinnern werde, als an irgendetwas aus den Kampagnen der letzten Assassins Creed-Spiele. Mit Respekt vor der Krankheit und deren Betroffenen sowie ihrer eigenen Welt kreiert Guerilla hier eine kurze Geschichte mit einem bittersüßen Ende, das den Spieler bis zum Schluss fesselt und gleichzeitig wichtige Pionierarbeit für moderne Videospielentwicklung leistet. Denn hier zeigt sich, wie man so ein schwieriges, doch enorm wichtiges Thema erfolgreich in ein Unterhaltungsprodukt für die breite Masse einbringt, ohne dass es zu salopp oder vereinfacht dargestellt ausfällt oder mit seiner Darstellung und Herangehensweise Spieler zu sehr triggert und aus der immersiven Welt rausreißt.

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